Offener Brief an die Kommission für Jugendmedienschutz. // PDF // PDF ENG
Sehr geehrter Herr Dr. Tobias Schmid,
Sehr geehrte Mitglieder der Kommission für Jugendmedienschutz,
Als Berufsverband für die Urheber:innen, Arbeitnehmer:innen und Unternehmen der Erwachsenenunterhaltung in Europa setzen wir uns auch für die Sicherheit, den Schutz und die Rechte von Minderjährigen ein. Während unsere Inhalte von und für Erwachsene gemacht werden und wir grundsätzlich die Bemühungen unterstützen, diese Minderjährigen unzugänglich zu machen, bedrohen die derzeitigen Regelungen und Maßnahmen unser aller Freiheit, verfehlen die eigentliche Ursache des Problems und entbehren sich praktischer Lösungsansätze.
So fordern Sie beispielsweise die Einführung einer obligatorischen Altersüberprüfung für alle Nutzer:innen, einschließlich Gesichtsscans und ID-Uploads. Diese Methoden mögen für diejenigen, die sich nur flüchtig mit der Technologie oder der Erwachsenenindustrie im Allgemeinen auskennen, vernünftig klingen. In der Praxis sind sie jedoch schwierig zu handhaben, stoßen auf massiven Widerstand bei den Verbraucher:innen und sind finanziell nicht tragbar.
Wären diese tatsächlich so einfach und effektiv wie Altersüberprüfungsunternehmen oder Befürworter es behaupten, hätten die Akteure der Branche kein Problem mit deren Umsetzung. Wir haben keinerlei Interesse daran, Minderjährige zu erreichen. Viele von uns sind selbst Eltern, und abgesehen von moralischen und ethischen Bedenken gibt es auch keinen finanziellen oder sonstigen Vorteil, den wir aus dem Zugang unserer Inhalte für Minderjährige ziehen könnten.
Die derzeit von der KJM geforderte Altersverifikation und Identifikation ist jedoch aufwändig und teuer. Entsprechende Dienste kosten bis zu 3 € pro Nutzer:in. Für Websites mit Millionen von täglichen Besuchen bedeutet das exorbitante Kosten. Vor allem für kleine, unabhängige Websites, die ohnehin schon mit geringen Gewinnspannen arbeiten, ist das schlicht nicht leistbar.
Zudem zeigte ein Bericht des Altersüberprüfungsdienstes VerifyMyAge kürzlich, dass 55% der Verbraucher:innen eine Website mit entsprechender Altersüberprüfung nicht nutzen würden. Dies stimmt mit den Erfahrungen derjeniger überein, die versucht haben, die Verifizierung vorschriftsgemäß einzuführen. Ihre Verkäufe an volljährige Verbraucher:innen gingen um bis zu 30 % zurück. Auch wenn die entsprechenden Dienste behaupten, dass keine persönlichen Daten gespeichert werden und dass private Informationen über den Zugang zu Websites gelöscht werden, zögern viele Verbraucher:innen, ihre Daten einzugeben. Zum einen aus Bedenken hinsichtlich Datenschutz, zum anderen weil der Konsum dieser Inhalte noch immer massiv stigmatisiert und somit hochsensibel ist.
Selbst für Verbraucher:innen, die bereit sind, sich auf diesen Prozess einzulassen, kann sich die Nutzung kompliziert gestalten, z.B. zahlreiche Anläufe erfordern. Wir wissen das als Sexarbeiter:innen und Filmemacher:innen, weil verschiedene Plattformen diese Technologien bereits nutzen, um unser Alter und unsere Identität zu überprüfen, bevor wir unsere Inhalte hochladen können. Das ist oft eine langsame und frustrierende Erfahrung, aber wir - als Urheber:innen - sind bereit, dies zu tun, um Einnahmen zu erzielen. Für die Verbraucher:innen hingegen setzt dies einen starken Anreiz, zur Konkurrenz zu gehen.
Während eine Umsetzung des von Ihnen geforderten Verifizierungsprozess unserem Geschäft also massiv schadet bzw. uns in die vollkommene Aufgabe unserer Tätigkeit zwingt und so unsere Existenzgrundlage bedroht, ist die Effizienz dieser Maßnahme zugleich fraglich. Wer an der Altersverifizierung scheitert, wird die Suche nach pornografischen Inhalten nicht aufgeben, sondern einfach auf eine der unzähligen Plattformen - von Social Media bis zu illegalen Seiten - zugreifen, die nicht betroffen sind oder via VPN die deutschen Beschränkungen umgehen. Solange die Regierung nicht beabsichtigt, Alters- und Ausweiskontrollen für weite Bereiche des Internets einzurichten, sind die Bemühungen zum Scheitern verurteilt.
Wenn das Ziel darin besteht, Minderjährigen den Zugang zu nicht jugendfreien Inhalten zu verwehren, muss die KJM die Rechtsvorschriften überarbeiten, damit sie der Realität des Internets im Jahr 2022 entsprechen. Der derzeitige Plan ist weder politisch noch technisch sinnvoll. Als Urheber:innen, ausübende Künstler:innen und Studios müssen wir uns fragen: Warum sollte die KJM versuchen, den Wettbewerb zu unterdrücken, insbesondere in einer Zeit, in der die Vielfalt der Darstellungen und Perspektiven wächst? Warum will sie die deutschen Bürger:innen auf unregulierte und weniger verantwortungsvolle Seiten drängen? Warum hat sie nicht versucht, mit uns zusammenzuarbeiten, um ihre Ziele zu erreichen, anstatt uns weiter an den Rand zu drängen?
Glücklicherweise gibt es Lösungen: Filter auf Geräteebene. Diese Filter, von denen viele kostenlos für Laptops und Handys angeboten werden, blockieren den Zugang zu nicht jugendfreien Inhalten, unabhängig davon, ob ein VPN verwendet wird. Pornografische Online-Plattformen registrieren sich freiwillig seit Jahrzehnten bei diesen Filtern, um Minderjährige fernzuhalten und gleichzeitig den Zugang für Erwachsene zu schützen. Sie sind nicht nur effektiver, sondern erfordern auch keine staatliche Zensur oder Überwachung. Es wäre viel effektiver, eine Kampagne zu starten, die Eltern und Betreuende über Filter informiert, oder Filter für Geräte zu subventionieren. Wir als Akteure der Pornoindustrie würde diese Bemühungen gerne unterstützen.
So paradox es auch klingen mag, wir sind Ihr wichtigster Partner in diesem Kampf. Wir setzen uns seit langem dafür ein, Minderjährige von unseren Inhalten fernzuhalten. Sollten sich die Technologien so weiterentwickeln, dass es einfach und kostengünstig ist, alle Besucher:innen zu überprüfen, ohne dabei den Zugang für Erwachsene erheblich zu erschweren, werden wir dem gerne nachkommen. Wir haben ein gemeinsames Ziel, aber behördliche Hindernisse und Rechtsstreits sind ein schlechter Weg, um eine Einigung zu erzielen, und eine wenig wirksame Strategie, um die Jugend in Deutschland zu schützen.
In den letzten Monaten haben wir gesehen, wie Dutzende kleinerer Accounts, darunter auch Erzieher:innen, als Folge Ihrer Kampagne auf Twitter gesperrt wurden. Ihre öffentliche Sprache konzentriert sich auf große Plattformen, aber die Menschen, die zum Schweigen gebracht werden, sind häufiger Einzelpersonen und kleine Unternehmen, die nicht über große juristische Teams verfügen, um sich gegen die KJM zu wehren. Wir haben Angst um unsere Existenz.
Die derzeitige Richtlinie muss geändert werden, um zu verhindern, dass ethische und legale Unternehmen dezimiert werden. Wir bitten Sie, Ihre Strategie zu überdenken und direkt mit uns zusammenzuarbeiten, um die zutiefst schädlichen und zerstörerischen Auswirkungen der aktuellen Regelungen, die Zensur und Diskriminierung legitimieren, besser zu verstehen - nicht nur auf große Unternehmen, sondern auch auf unabhängige Produzent:innen und marginalisierte Gemeinschaften. Wenn die KJM und die Medienanstalt NRW es ernst meinen und nicht nur zensieren wollen, müssen sie mit den Menschen sprechen, die am meisten von dieser regressiven Politik betroffen sind.
Wir sind jederzeit für ein Gespräch bereit.
Ursprünglich wollten wir diesen Brief mit unseren eigenen Namen und Unternehmen unterzeichnen. Als Kleinunternehmer:innen, die mit ansehen mussten, wie Konten in Deutschland verschwanden, befürchten wir nun jedoch, dass auch wir ins Visier genommen werden könnten, wenn wir uns frei äußern.
gez.
die Free Speech Coalition Europe